Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 5/15 - page 63

Personalentwicklung
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groß. Wir müssen den Kandidaten schon den roten Teppich ausrol-
len, wenn wir sie haben wollen. Dabei wollen wir die Gesamt-
situation des Bewerbers betrachten. Oftmals sitzt die ganze Familie
bei Vorstellungsgesprächen vor uns – eben weil es eine ganze Reihe
von Fragen und Herausforderungen gibt, bevor ein Bewerber den
Schritt auf den ausländischen Arbeitsmarkt macht. Wir reden ja hier
nicht von Saisonarbeitern, sondern von Fachkräften für den dauer-
haften Einsatz.
Helmut Meyer:
Umgekehrt betrachten wir auch die Situation in un-
seren Kundenunternehmen. Hier zeigt es sich ganz deutlich, wie
wichtig es ist, mit einem klaren Konzept aufzutreten. Sagen wir es
mal vorsichtig: In Thüringen und den anderen jungen Bundesländern
ist die Aufnahmewilligkeit der Gesellschaft und auch der Unter-
nehmen ausbaufähig. Auch die Firmen müssen bereit sein, Fach-
kräfte aus dem Ausland zu integrieren, ihnen eine Chance zu geben.
Da ist es für sie wichtig zu wissen, dass wir ihnen dabei helfen.
In welchen Branchen sind polnische Arbeitskräfte besonders ge-
fragt?
Florian Meyer:
Das lässt sich kaum eingrenzen. Im gewerblich-tech-
nischen Bereich sind so ziemlich alle Branchen vertreten. Wir möch-
ten aber an dieser Stelle betonen, dass wir grundsätzlich nachfrage-
orientiert arbeiten, das heißt, dass wir zielgerichtet bedarfsgerecht
auf Kundenwunsch suchen. Es kommen aber immer noch Kunden
aus allen Branchen auf uns zu, die die Lage richtig einschätzen und
langfristig an die Erhaltung ihrer eigenen Flexibilität und Wettbe-
werbsfähigkeit denken.
Wie sieht es mit der Sprachbarriere aus? Wie gut sind die Deutsch-
kenntnisse Ihrer Arbeitskräfte?
Helmut Meyer:
Grundsätzlich so gut, wie sie verlangt werden. Das
meinen wir mit auftragsbezogener Suche. Wir führen natürlich beim
Einstellungsprozess Sprachtests durch und bieten in der GeAT-
Akademie Deutschkurse an. Unsere Kundenunternehmen können si-
cher sein, dass die Kenntnisse der neuen Mitarbeiter so sind, dass
sie auf den jeweiligen Arbeitsplatz passen. Ein Grund, warum wir
zum Beispiel in Polen Arbeitnehmer gewinnen. Dort ist „Deutsch“
Schulfach und viele polnische Arbeitskräfte sprechen fließend
deutsch.
Wie begleiten Sie Ihre Arbeitskräfte und Ihre Kundenunterneh-
men gerade in der Anfangszeit?
Florian Meyer:
Mit einem Wort: vollumfänglich. Wir nehmen unsere
neuen Kollegen vom ersten Moment an die Hand und begleiten sie.
Da geht es um die Einreiseformalitäten, Behördengänge, Wohnungs-
suche, in manchen Fällen sogar Einschulung der Kinder, bis hin zu
den Sicherheitseinweisungen in Sachen Arbeitsschutz im Einsatz-
unternehmen.
Helmut Meyer:
Es ist auch für die Unternehmen wichtig, dass wir
ständig als Ansprechpartner bereit sind. Wir können ganze Schichten
betreuen und bieten in Betrieben bestimmte Sprechtage an, an de-
nen die ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Fragen zu uns kom-
men können. Unser Ziel ist, dass das Unternehmen weder an den
Kosten noch an zusätzlich auftretenden Problemen merkt, ob dort
ein einheimischer oder ein ausländischer Mitarbeiter lebt und arbei-
tet. Deshalb kümmert sich die GeAT AG auch beispielsweise zwi-
schen den Schichten und nach der Arbeit um die Menschen.
Thüringen empfängt gerade tausende von Flüchtlingen, bundes-
weit sollen es allein in diesem Jahr über 800.000 sein. Nach drei
Monaten in Deutschland dürfen sie dann hier arbeiten und wol-
len das auch. Da steckt doch ein riesiges Potenzial. Sehen Sie das
für Ihr Unternehmen auch so? Wie sind Sie darauf vorbereitet?
Helmut Meyer:
Sie haben Recht, das ist ein riesiges Potenzial. Vor-
bereitet darauf war so ziemlich niemand. Wir könnten da einiges tun.
Wir stellen uns den Herausforderungen, da wir das einzige Zeit-
arbeitsunternehmen in Thüringen sind, das offiziell das Landes-
prädikat „sozialverträglich und integrativ“ trägt. Schon heute haben
wir beispielsweise Landratsämter und städtische GmbHs mit unseren
Zeitarbeitnehmern verstärkt, die sich um Flüchtlinge kümmern. Das
sollte „Schule“ machen. Wir sind bereit.
Florian Meyer:
Das Gesamtthema ist für Außenstehende nur schwer
zu durchschauen. Es kommt dabei auf den so genannten Aufenthalts-
status des Flüchtlings an. Kurz gesagt: In vielen Fällen dürfen Flücht-
linge erst bei Zeitarbeitsunternehmen anfangen, wenn sie vier Jahre
in Deutschland sind.
Das Stichwort ist bereits gefallen: Welche politischen und gesetz-
lichen Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, um das
Potenzial der Flüchtlinge für den Arbeitsmarkt zu nutzen?
Florian Meyer:
Ich selbst arbeite in unserem Branchenverband iGZ
aktiv mit und weiß, dass wir mit der Politik ständig im Gespräch sind.
Ich glaube, dass sich jetzt die Erkenntnis durchsetzt, dass es drin-
genden Handlungsbedarf gibt. Ein Beispiel habe ich Ihnen genannt.
Warum es diese Sperrfrist von vier Jahren gibt, kann niemand erklä-
ren. Dabei ist die Zeitarbeit doch gerade ein prädestiniertes Mittel,
flexibel auf die individuelle Situation reagieren zu können. Die
Arbeitsagenturen werden das Problem allein nur schwer lösen kön-
nen.
Helmut Meyer:
Übrigens genauso schwer, wie wir die Arbeit der
Agenturen machen können. Ich glaube: Am wichtigsten ist es jetzt,
die Verfahren so zu beschleunigen, dass schnell klar ist, wer bei uns
bleiben wird und wer nicht. Im Übrigen habe ich die Hoffnung, dass
die Politik angesichts der Fülle der Probleme mal einen Gang hoch-
schaltet und schnell zu pragmatischen Lösungen kommt.
Interview: Torsten Laudien
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